Erste Messungen

Um Werte wie Pi in der Pyramide entdecken zu können ist es natürlich hilfreich, die genauen Maße der Pyramide zu kennen. Im frühen 19. Jahrhundert war die gesamte Cheopspyramide allerdings noch in einem über 10 Meter hohem Schutthaufen vergraben. Dieser, bestehend aus Trümmern der Verkleidungsblöcke und aus Erosionsschutt der Kernmauerwerksteine, machte die Vermessung der Pyramide praktisch unmöglich.

Sockelloch
Fig. 1 - vermeintliches Sockelloch

Im Jahre 1799 begannen die französischen Wissenschaftler, die Napoleon bei seinem gescheiterten Ägypten-Feldzug begleiteten, die Ecken der Nordseite der Pyramide freizulegen. Dort entdeckten sie zwei Vertiefungen, die sie für die Lagerpunkte der Kantsteine der Pyramiden hielten. Durch Vermessung des Abstands der äusseren Kanten konnte erstmals die Breite der Pyramide gemessen werden - dachte man.

Problematisch an der Messung war, dass sie von Napoleons Ingenieuren nur ein einziges mal ohne Kontrollmessung durchgeführt wurde. Die einzige weitere Vermessung wurde Anno 1837 von Perring durchgeführt, ebenfalls ohne eine Überprüfung der Resultate durch eine zweite Messung. Auf diesen mit der heißen Nadel gestrickten Messungen beruht tatsächlich das Fundament der kompletten Zahlenmystik!!
Noch viel interessanter ist aber die Wichtung der Messdaten, denn weder Perrings Werte noch die der französischen Expedition passten ins Taylor/Smythsche Konzept der "Gott-inspirierten" Pyramide.

Sakrale Elle und tropisches Jahr

Smyth vertrat die Ansicht, dass ein göttliches Gebäude wie die Große Pyramide nur perfekt ist, wenn es in ganzzahligen Einheiten gebaut ist, oder bei dem höchstens glatte Brüche wie 1/2 vorkommen. Daher stand für ihn fest, dass kein Fuß oder keine normale Elle Verwendung gefunden haben konnte, sondern eine Einheit, die er "Sakrale Elle" nannte. Wie er diese in die Pyramide hineinbrachte ist ähnlich wie bei Pi. Lassen wir Smyth persönlich zu Wort kommen:

Kapitel III
Die Längeneinheit verwendet in der großen Pyramide
Der Fuß als Standard ist ungeeignet für Pi in der großen Pyramide bei ihrer Größe
 
[...]
Als ersten Schritt lassen wir uns betrachten, ob wir nicht ein gleichermaßen exaktes Verhältnis zwischen Höhe und doppelter Basisbreite ... mit simpleren Zahlen erhalten können. Ein Verhältnis von 116.5 zu 366 zum Beispiel.
[...]
Könnte es daher Gründe dafür geben, dass die Baumeister genau diese Zahlen in die große Pyramide eingebaut haben könnten?
Es gibt Gründe mit wirklich großartigen Zusammenhängen. Zuerst ist 366, die ich hier exemplarisch verwende um auf das Pi-Verhältnis zu kommen, die nächste gradzahlige Repräsentation der Tage in einem tropischen Jahr. ...
[...]
Zweitens, wenn wir davon ausgehen, dass die Basis der Pyramide ein universelles Zeitmaß enthält ... und wir die Messungen der französischen savants und von Colonel Vyse bezüglich des Abstands der Sockellöcher durch 366 Teile teilen erhalten wir einen Wert, der sehr nahe bei 1/25 Millionstel des Erdhalbmessers oder fast 25 Zoll liegt. Dies ist ein eindeutiger und unabhängiger Beweis dafür, dass der Baumeister die Pyramide mit einem Maß von 25 Zoll vermessen hat, als Symbol der täglichen Rotation der Erde, mit der Anzahl der Tage des Jahres im Kopf, um in der Pyramidenbasis ein Symbol für die tägliche Drehung und den jährlichen Umlauf zu geben; verknüpft mit der Intention, die Anzahl der Tage in Vielfachen des Maßstabs in jede Basisseite einzubringen.
 
Zuerst müssen wir uns daher versichern, ob die hier angenommenen Fakten dort zu finden sind. Oder, mit welchem Grade der Genauigkeit sie dort sind; weil in aller praktischer Arbeit ... wissen gute Wissenschaftler, dass nichts absolut, sondern nur mit einer bestimmten Genauigkeit gemessen werden kann; Diese Grenzen werden kleiner, wenn die Messungen verbessert werden, verschwinden aber nie.
Ist denn der 10 millionste Teil des Erdhalbmessers oder 25,025 Zoll ... multipliziert mit 365.2422 Tagen ... die wahre Länge einer Seite der quadratischen Grundfläche der Pyramide; und wenn nicht, mit welchem Fehler?
Der theoretische Wert, 25,025 x 365,2422, ergibt ungefähr 9140 britische Zoll (232,16 Meter, FD). Zur Zeit der ersten Veröffentlichung dieses Buches (1867, FD) ergab der einzig zuverlässige, weil durch Messung der Sockelabstände ermittelte Wert für die Basisbreite, den ich kenne, der erste, der französische (siehe S. 25) = 763,62 englische Fuß = 9163,44 englische Zoll; und der zweite, Colonel Howard Vyses, 764 englische Fuß oder 9168 britische Zoll; Beide sind viel zu groß.
Dieser Fehler berührt aber meine Zielstrebigkeit, den gewünschten Wert zu finden nicht. ... Aber nun benötigen wir natürlich nähere Aufschlüsse darüber, ob die numerische Länge die (damals) benutzt wurde wirklich stimmt, oder nur imaginär ist; und als ich 1865 wirklich an der großen Pyramide war, gelang es den Messrs. Aiton und Inglis, Ingenieure, tatsächlich alle 4 Sockellöcher der großen Pyramide freizulegen (wie ausführlich in meinem Buch "Leben und Arbeit" beschrieben), und dann die Breite aller vier Seiten von Sockel zu Sockel zu messen. Mit welchem Resultat? Sie fanden alle Seiten kürzer, weit kürzer; Für mich war es erst unglaublich viel kürzer, als beide, die Franzosen und Vyse ermittelten; weil sie nur 9110 britische Zoll (231,39 Meter, FD) für alle vier Seiten maßen.
 
Entweder lag ihre Messung sehr weit daneben und war zu kurz, oder die der Franzosen und von Colonel Vyse lag sehr weit daneben und war zu lang. Warum waren die Messungen so schlecht? Hauptsächlich, weil der Grund über den die Messstrecke lief bedeckt, übertürmt und fürchterlich verworfen ist durch die Berge von Schutt, die durch die Reste der Decksteine gebildet werde, über die ich soviel im letzten Kapitel schilderte. So nützlich sie für die Bestimmung des Neigungswinkels sind, so hinderlich sind sie nun, wenn eine präzise horizontale Länge gewonnen werden soll; Wie alle Entfernungsmessung, so muss auch diese in einer geraden und horizontalen Linie gewonnen werden, wenn sie als Referenz benutzt werden soll. Jeder Vermesser hofft natürlich, die Unebenheiten durch clevere Ausgleichsmaßnahmen korrigieren zu können, aber wenn man ihre individuellen Ergebnisse zusammenbringt, seht diese Fehler! Und dies selbst in der modernen Wissenschaft, die höhnisch auf die Angaben antiker Autoren herabsieht.
Ich beschloss daher, die Fehler zu wichten, wie ich 1864 in meinem Buch "Leben und Arbeit" dargelegt hebe, entschließend, dass weder 9168 noch 9163 noch 9110 Zoll stimmen, sondern eher 1942 Zoll, Und nachdem die königlichen Ingenieure 1839 ein Maß von 9130 Zoll gemessen haben sehe ich keine Veranlassung, mein ursprünglich angenommenes Maß von 9140 Zoll nicht als gegeben anzunehmen.
 
... Es ist daher hervorzuheben, dass das theoretisch gewünschte Maß von 9140 Zoll, der Ausdruck aller Weisheit dieser Welt, selbst unter modernen Messungen innerhalb des möglichen Spielraums der Messungen liegt![1]

Die Argumentation ist beispeilhaft.

Erneut, wie beim Pi, stützt sich dieses Resultat nicht auf eine Messung, sondern wird durch Vorgabe eigener Prämissen produziert. Mit echter wissenschaftlicher Arbeit hat dies nichts zu tun. Denn kein einziges Messergebnis seiner Zeit liegt auch nur annähernd dort, wo es für seine These der "unerschütterlichen Wahrheit" liegen müßte. Und die Ergebnisse von Petrie, der herausfand, dass die "Kantsteinlöcher" überhaupt keine gewesen sein können, vernichtet alle Reste seiner These (mit 9070 statt der nötigen 9140 Zoll - 70 Zoll (!!) oder 1.77 Meter zu wenig!!)
Von ähnlichem Kaliber sind übrigens auch etliche andere "Mysterien" Smyths - nach dem Motto "Was will ich finden" wird darüber philosophiert, ob die gefundenen und den Thesen leider widersprechenden Messwerte vom Bauherrn nicht vielleicht doch anders geplant gewesen waren...

Fazit

Wir können also feststellen, dass die Basisdaten der Numerologie nicht in den Ergebnissen präziser Messungen gefunden wurden oder auf wissenschaftlichen Beweisführungen beruhen, sondern von den Autoren bewusst produziert und von den Zahlen her so angepasst wurden, dass sie innerhalb des damaligen aufgespannten Fehlerintervalls zu liegen kamen. Damit konnten diese fabrizierten Werte natürlich ganz schnell vernichtet werden - ein paar Messungen die eindeutig außerhalb der Grenzen liegen reicht3en dafür aus. Und die wurden nur ein paar Jahre nach der Publikation der Zahlenmystiker gewonnen.

Anmerkungen:
[1] Smyth, S. 31-38
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Alle Bilder und Texte © Frank Dörnenburg